20.02.24
Streuobstwiesenschäferei Rudersberg
Das Leben von Lisa-Marie Funke und ihrem Mann, Stefan Klett, hätte auch einen ganz anderen Verlauf nehmen können. Beide könnten ihre Tage in einem klimatisierten Büro sitzend und gelegentlich in einem Labor stehend verbringen, in einem Job mit festen Arbeitszeiten und geregeltem Urlaubsanspruch.
WEIT GEREIST UM ANZUKOMMEN
Lisa Funke reiste nach dem Abi ein paar Monate nach Australien und Neuseeland und wollte eigentlich Ethnologie und Soziologie studieren, bis sie merkte, dass Geographie auch eine "physische" Seite hat, bei der es um Mathematik und Naturwissenschaft geht, Fächer die sie stets interessierten. "In der Geographie werden Natur und Mensch zusammen gedacht", sagt sie. Bodenkunde wurde zu ihrem Spezialgebiet, nachdem sie 2010 im Rahmen eines Forschungsprojekts nach China reiste, um Bodenproben in der Provinz Jiangxi zu sammeln und auszuwerten. Damit waren die Grundlagen für ihre Masterarbeit gelegt: die Untersuchung ober- und unterirdischer Biomasse auf permafrostbeeinflussten Böden auf dem Qinghai- Plateau in Tibet. Die Begegnung mit einem tibetischen Mönch und der nonverbale Austausch darüber, warum eine junge Frau aus Europa an einem Bergbach Erde aus Pflanzenwurzeln wäscht, gehört zu den unvergesslichen Eindrücken aus dieser Zeit. Was jetzt – war die Frage, die sich nach dem Studium stellte. "Eigentlich muss man doch selber etwas machen", stellte Lisa fest. Stefan hatte inzwischen eine Ausbildung als Baumwart gemacht und überlegte, ob man vielleicht mit einem befreundeten Paar einen Bauernhof in Brandenburg übernehmen solle – bis Lisa Funke sich fragte, was denn dann mit den Wiesen und den Hochstamm-Mostobstbäumen ihrer Familie in Zukunft passieren würde. 2013 zogen Funke und Klett nach Rudersberg und begannen nebenher die Streuobstwiesen zu pflegen, sowie eine Imkerei aufzubauen. Ihre "9-to-5 Jobs" behielten sie zunächst bei, denn es war schnell klar, dass man von Imkerei und Streuobst allein nicht leben kann. Als die Besitzer eines Biobauernhofs in einem Ortsteil von Rudersberg Hilfe beim Baumschnitt auf ihren Obstwiesen brauchten, bot Klett ihnen einen Baumschnittkurs an.
Eigentlich müsste man doch etwas tun - Lisa-Marie Funke
Von November bis Januar ist Klett weiterhin als
Schäfer mit seiner Herde unterwegs. Auf den Wiesen
wächst nur wenig Gras und die Schafe müssen deshalb
ständig auf neue Flächen geführt werden – Hütehaltung
auf Winterweide nennt man das. Im Februar und März
lammen die Schafe im Stall. Spätestens im April sind die
Tiere - diesmal ohne ihren Hirten – auf einer Elektrozaun
gesicherten Weiden unterwegs. Die Planung, wann die
Schafe wo weiden, ist kompliziert, denn zwischen August
und Oktober, etwa sechs Wochen vor der WiesenObst
Ernte, dürfen sie an diesen Standorten nicht grasen.
Schon bevor Funke und Klett dem WiesenObst Verein beitraten waren sie entschlossen, die Qualitäten des
Obsts für die Produktion von aromaintensiven Säften zu
nutzen. "Wir wollten etwas Eigenes machen", sagt Funke, "wir sind über die Wiesen gelaufen, haben Äpfel probiert und diskutiert: was passt zusammen und was nicht".
Sie engagierten einen Pomologen um die Äpfel korrekt
bestimmen zu können. Dabei stellte sich heraus, dass
manche Sorten so lokalspezifisch sind, dass
auch der
Wissenschaftler sie nicht benennen konnte.
ENERGIEN UND KRÄFTE WERDEN GEBÜNDELT
Direktvermarktung ist jedoch gerade bei Saft eine
schwierige Angelegenheit: die Mengen sind für die meisten Abfüller zu klein. Der sortenreine Saft aus eigenen
Bittenfelder Äpfeln ist köstlich, aber die Kosten – für Abfüllung, 0,33l Flaschen und eigene Etiketten in geringer
Stückzahl – sind hoch. Trotzdem ist der Saft als "Lokalmarke" bei Gemeinderatssitzungen, im Sportverein und
bei Festen der Dorfgemeinschaft beliebt und gefragt.
Doch auch für Lisa Maria Funke und Stefan Klett
hat der Tag nur 24 Stunden. Schafe, WiesenObst, Imkerei,
Hühner, Pensionspferde, für Klett inzwischen zusätzliche
Arbeit als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) Baden Württemberg, Funke
mit Sitz im Gemeinderat und, seit die kleine Tochter zwei
Jahre alt ist, wieder mit einer festen Teilzeitstelle beim
Regionalentwicklung Schwäbischer Wald e.V. – dem
Motto "eigentlich muss man doch selber etwas machen" sind beide mehr als treu geblieben. Für viele Landwirte
übersteigen tägliche Arbeit, Projekte und die Vielzahl der
Ideen, wie man vieles noch nachhaltiger und umweltverträglicher gestalten könnte, Zeit- und Energiereserven.
Vielleicht lassen sich über den WiesenObst Verein Synergien schaffen und im Austausch mit anderen das Leben
ein wenig vereinfachen und erleichtern.